Die sommerliche Aufregung um den Fast-Grexit kaum
überstanden – jedenfalls für den Moment,
denn wie jeder Action-Kassenschlager wird es sicher ein, zwei Fortsetzungen
geben – können sich die leicht erschöpften politischen Klassen Europas schon
auf den nächsten spannungsreichen Politthriller freuen :
« Brexit » - bald in einem Kino in Ihrer Nähe.
Zwischen
Großbritannien und Deutschland – Was ist französische Europapolitik ?
Hier gibt es in der Tat wenig Zeit, Atem zu schöpfen. Laut
Premierminister David Cameron soll das Referendum über die Zugehörigkeit
Großbritanniens zur Europäischen Union schon vor Ende 2016 über die Bühne
gehen. Verhandlungen, deren Ausgang die 16-20 Prozent noch Unentschiedenen
überzeugen sollen, für ein Bleiben in der EU zu stimmen, sind im Gange :
Hochrangige britische Politiker bereisen auf der Suche nach
europäischen Mehrheiten für Politik- oder gar Vertragsmodifikationen
kreuz und quer das Festland. Ende Juli war George Osborne, der britische
Finanzminister für die Sache werbend in Paris. Dort pries er die Gunst der Stunde
– endlich ergäbe sich die Möglichkeit, eine Debatte über Reformen zu führen,
die die EU „wettbewerbsfähiger und dynamischer gestalten, und damit für
Wohlstand und Sicherheit für alle sorgen könnte.“
„Grexit“, „Brexit“, solch intra-europäische Turbulenzen
haben zumindest den Vorteil, wie das besagte Feigenblatt (ob nun griechisch
oder nicht), das Fehlen einer genuin französischen Europapolitik zu
kaschieren. In entgegensetzte, jeweils unerwünschte Richtungen gezerrt, wirken
französische Politikverantwortliche wie gelähmt. Auf der einen Seite
Großbritannien mit seinem Wunsch nach Rückführung von Kompetenzen auf
nationale Ebene. Dies birgt für Frankreich die Gefahr, seine politische
Landschaft in Aufruhr zu versetzen, da es Wasser auf den Mühlen der Souveränisten,
der Front National oder all derer Mitbürger ist, die 2005 mit „nein“
gegen den Europäischen Verfassungsvertrag stimmten, wenngleich auch aus
diversen Gründen. Auf der anderen Seite dräut Deutschland, welches auf
geschickte Weise Frankreichs Angst vor einer deutsch-britischen Allianz
ausnutzt, um mehr Integration der Eurozone, besonders im Bereich
Budgetkontrolle, durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund erscheint die von den
Franzosen favorisierte Taktik des „weder noch“ - weder Neuverhandlungen, noch
ein Mehr an Integration - schlicht kein gangbarer Weg.
„Grexit, Brexit, Frexit“ - das törnt
Marine Le Pen an
Zeichung von
Monsieur Kak, April 2015
Nach Jahrzehnten der Dominanz des europäischen Projekts,
nach französischem Abbild geschaffen, französischen Interessen dienend,
befindet sich Frankreich momentan in einer Position der Schwäche. Dies ist zum
einen Ironie der Geschichte. Das europäische Institutionenkorsett, mit seinem
Herzstück, der gemeinsamen Währung, wurde eigens konzipiert, um ein Deutschland
zu bändigen, das, wenn nicht als gefährlich, so doch wenigstens als
beunruhigend galt. Nun hat gerade dieses Konstrukt zu einer signifikanten
Machtsteigerung Deutschlands innerhalb der EU geführt, besonders seit der seit
2009 andauernden Eurokrise.
Aber der fehlende Einfluss Frankreichs ist auch einem Mangel an strategischer Reflexion über die EU geschuldet. Seit dem Maastrichter Vertrag und der in das Referendum mündenden Kampagne für den europäischen Verfassungsvertrag im Jahre 2005 herrscht in etablierten Parteien, der Presse, in Universitäten und an Forschungsinstituten fast völlige intellektuelle Stille, was Europa betrifft. „Es gibt keine Alternative zum aktuellen Projekt“ - neben Deutschland umfängt dieser Slogan Frankreich wie eine Zwangsjacke.
Doch die jetzige Situation wirft Fragen auf – hier nur
einige davon. Was sind die Interessen Frankreichs, die durch seine
Mitgliedschaft in der Europäischen Union gefördert werden ? Wie bedient
sich Frankreich der EU und wie will sie sie in Zukunft nutzen ?
Entsprechen das Institutionengefüge und die Politiken der EU den Bedürfnissen
Frankreichs und den Erwartungen seiner Bürger ? Gibt sich Frankreich damit
zufrieden, neben einem ökonomisch und politisch stärker werdenden Deutschland
die zweite Geige zu spielen ? Und wenn es sich entscheiden müsste, wo
würde sich Frankreich verorten – wirtschaftlich, finanzpolitisch, politisch und
kulturell gesehen – eher in einem Europa „des Nordens“ oder in einem Europa
„des Südens“ ?
Keine dieser Fragen ist leicht zu beantworten. Aber alle,
und andere, verdienten es, gestellt und debattiert zu werden. Die tektonischen
Platten der EU verschieben sich – nur wer selbst in Bewegung bleibt, geht nicht
Gefahr, das Gleichgewicht verlieren.
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